Englische Kanäle

  • Am Wochenende wurde ich auf mein Profilbildchen im Forum angesprochen. Ein anderes Hobby von mir: Narrowboats und das englische Kanalsystem.


    Die Kanäle auf der Insel sind im Schnitt 200 Jahre alt. Sie waren der unmittelbare Vorläufer der Eisenbahn und zählen zum wichtigen industriellen Erbe. Das erhaltene bzw. restaurierte Netz ist riesengroß, mit hunderten von Schleusen, die man fast alle selbst bedient und weiteren spannenden Kunstbauwerken. Die Kanäle sind schmal, die Schleusen teils nur etwas über zwei Meter breit. Die Boote dazu sind entsprechend, man nennt sie wegen ihrer geringen Breite Narrowboats. In ihren Linien folgen sie den früheren Frachtkähnen, nur ist die Kabine heute deutlich größer und bietet ein recht komfortables Heim.


    Hier einige eigene Eindrücke aus Touren der letzten Jahre.


    Motiv meines Profilbildchens: Der Edstone-Aquädukt auf dem Stratford-Kanal, nahe Stratford-on-Avon, ausgeführt als gusseiserner Trog. Unten eine Bahnlinie. Zu Dampfzeiten diente der Kanal zusätzlich als Wasserreservoir für die Tender der Lokomotiven.




    Schleusen gibt es in schmal und breit, einzeln oder im Haufen. In Foxton, auf der Leicester-Sektion des Grand-Union-Kanals sind es gleich 10 am Stück, als zwei Treppen zu je 5, in der schmalen Ausführung.



    Doppelt breit sind die Schleusen auf dem Leeds & Liverpool-Kanal. Da alles mit Muskelkraft bewegt wird, hat man hier doppelte Arbeit. Bei Wigan hat man es mit eines Schleusenreihe von 21 Exemplaren zu tun. Oben angekommen weiß man, was man getan hat.




    Neben ländlicher Idylle führen die Kanäle den Bootsfahrer auch mitten in die großen Städte, wie hier auf dem Birmingham & Fazeley-Kanal quer durch Birmingham.




    Manche Schleusenanlagen sind wunderschön restauriert und eine wahre Augenweide, hier die Bratch-Locks auf dem Staffordshire & Worcestershire-Kanal.




    Ein besonderes Abenteuer sind Tunnel. Auch die gibt es in schmal und breit. (In schmal dann bei längeren Tunneln mit zeitlich geregeltem Richtungsverkehr). In breit, wie im 1800m langen Tunnel von Braunston auf dem Hauptstrang des Grand-Union-Kanal, muss man mit Gegenverkehr rechnen. Und sehen, dass man ohne Rempler aneinander vorbei kommt.




    Ein ganz besonderes Bauwerk ist das Schiffshebewerk von Anderton, vor dem Verfall gerettet und heute wieder voll betriebsfähig, und von jedermann benutzbar. Es verbindet den Trent & Mersey-Kanal (oben) mit dem Fluss Weaver (unten), kann aber auch, wie hier, allein als Lustfahrt einmal runter und wieder rauf gebucht werden. Kostet nichts (bzw. ist im Preis für die Jahreslizenz enthalten).


  • Wirklich beeindruckend geophil, vor allem der Tunnel und das Schiffshebewerk.
    Erinnert ein wenig an die älteste Kesselschleuse Europas in Lauenburg.


    Gruß joachim

    Einmal editiert, zuletzt von joachim ()

  • Tolle Repertage, Danke für Deine interessanten Bilder!
    Da sieht man mal wieder, daß es auch außerhalb der Eisenbahn sehr imposante Beförderungstechniken gab und immer noch gibt.
    Vielleicht können wir mal weitere Eindrücke bestaunen?

    Einmal editiert, zuletzt von Dampfloker ()

  • Über einen langen schmalen Tunnel hab ich mal ne Reportage in England gesehen. Auch ich fand es interresant. Allerdings konnte ich nicht wissen, dass das ganze Bootenetz sooo groß ist.


    Ich freue mich über mehr Infos - Man sieht, dass es auch ohne Bahn, Auto, LKW, und Flugzeug geht.


    Viele Grüße JOO

  • Man sieht, dass es auch ohne Bahn, Auto, LKW, und Flugzeug geht.


    Es funktionierte zu damaliger Zeit. Aus heutiger Sicht wäre es undenkbar.


    Gruß joachim

    Einmal editiert, zuletzt von joachim ()

  • Ansichtssache. (vielleicht auch nicht, aber:)
    Früher ging es jedenfalls

  • Das sind wirklich sehr schöne Eindrücke, geophil. Danke fürs einstellen.


    Wie ist das geregelt ? Braucht man dafür irgendeinen Nachweis oder kann man, wie in den Niederlanden einfach drauf losschippern ?

  • Das englische Kanalsystem ist in Deutschland erstaunlicherweise nahezu unbekannt. Zum Teil liegt es m.E. daran, dass es hierzulande mit dem von FSP eben zitierten Begriff "Hausbootferien" vermarktet wird. Damit wendet man sich nach meinem Verständnis an die falsche Zielgruppe.


    Formal stimmt das natürlich, ein Narrowboat ist eine schwimmende Ferienwohnung. Aber "Hausboot" suggeriert etwas doch eher stationäres, keine Schleusen-, Tunnel- oder Brückenabenteuer und keine Begegnung mit britischer Industriegeschichte.


    Zitat

    JOO200 schrieb:
    Über einen langen schmalen Tunnel hab ich mal ne Reportage in England gesehen. Auch ich fand es interresant.


    Der längste Tunnel ist der Standedge-Tunnel in den Pennines in Yorkshire, rund 5000 m, vor wenigen Jahren wiedereröffnet. Gebucht waren wir schon, nur leider gab es technische Defekte an der Kanalinfrastruktur auf dem Weg dorthin, so dass wir eine andere Route nehmen mussten.


    Zitat

    joachim schrieb:
    Wirklich beeindruckend geophil, vor allem der Tunnel und das Schiffshebewerk.
    Erinnert ein wenig an die älteste Kesselschleuse Europas in Lauenburg.


    Der Ingenieur, der den Anderton Boat Lift konstruiert hat, war wenige Jahre später auch in Belgien aktiv und hat dort die vier Schiffshebewerke am Canal du Centre gebaut.


    Zitat

    joachim schrieb:
    Man sieht, dass es auch ohne Bahn, Auto, LKW, und Flugzeug geht.
    Es funktionierte zu damaliger Zeit. Aus heutiger Sicht wäre es undenkbar.


    Die Kanäle waren recht bald der Konkurrenz der Eisenbahn ausgesetzt und spätestens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nur noch marginal profitabel. Mit dem Beginn des Autoverkehrs im 20. Jahrhundert sank ihre Bedeutung immer weiter. Im Prinzip war mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs Schluss. Aber dann gründeten sich diverse Initiativen aus interessierten Bürgern, die mächtig genug wurden, den Lauf der Geschichte anzuhalten. Die Kanäle wandelten sich, vom kommerziellen Wasserweg zum Freizeitparadies mit entsprechend wirtschaftlicher Bedeutung durch Tourismus. Heute ist die Zahl der zugelassenen Boote höher als zu den besten Zeiten des Frachtverkehrs. Und weiterhin arbeiten viele Vereine mit freiwilligen Helfern an der Restaurierung weiterer Abschnitte im Netz. Selbst kürzere neue Stücke werden gebaut. Staatliche Mittel fließen zwar jetzt nicht mehr so reichlich, aber die Briten lassen sich nicht verunsichern.


    Zitat

    Mueller schrieb:
    Wie ist das geregelt ? Braucht man dafür irgendeinen Nachweis oder kann man, wie in den Niederlanden einfach drauf losschippern ?


    Wie in den Niederlanden. Jeder darf. Es muss ein Erwachsener an Bord sein und ggf. jugendliche Steuerleute beaufsichtigen.


    Wenn man ein Boot mietet, bekommt man vorab ein Heft von British Waterways (der Kanalbehörde) mit dem Titel "The Boater's Handbook", in dem alles wichtige zur Bootsführung, den Verkehrsregeln und vor allen der Sicherheit drin steht. Auf Wunsch gibt es auch noch ein Video. Vor Ort bekommt man vom Vermieter eine gründliche Einweisung. Und wenn man seine erste Tour macht, wird man auch noch durch die erste Schleuse geleitet, um das Verfahren kennen zu lernen. Natürlich hilft ein wenig vorherige Erfahrung am Ruder, aber wirklich notwendig ist sie nicht. Man lernt schnell. Nach einem Tag hat man ein ungefähres Gefühl für das Schiff, und nach zwei oder drei Tagen fährt man Schleusen ohne dass es rumst.


    Die Höchstgeschwindigkeit ist 4 Meilen pro Stunde. Das ist aber für viele Gewässer reine Theorie, sie sind zu eng und auch zu flach für solche Raserei. So ein Narrowboat verdrängt immerhin 20 Tonnen, dank seiner soliden Stahlkonstruktion. Und es gibt bekanntlich keine Bremse - außer volle Fahrt zurück.




    Ich schau mal, ob ich heute Abend noch ein paar aussagekräftige Fotos heraussuchen kann.

  • Zitat

    geophil schrieb:
    Das englische Kanalsystem ist in Deutschland erstaunlicherweise nahezu unbekannt. Zum Teil liegt es m.E. daran, dass es hierzulande mit dem von FSP eben zitierten Begriff "Hausbootferien" vermarktet wird. Damit wendet man sich nach meinem Verständnis an die falsche Zielgruppe.


    Als ich damals wollte, wurde die Tour mangels Masse (Personen) abgeblasen. Es war kaum einer bereit, auf der "verregneten Insel" mit den "besonderen kullinarischen Ergüssen" Urlaub zu machen. Zumal Boot fahren das Image eines langweiligen Urlaubes hat(te).

  • Hier wie versprochen weitere Eindrücke. Habe mich durch meine Bilder gekämpft und eine kleine Collage zusammengestellt, grob sortiert nach Themenschwerpunkten.


    Geschichte


    Hier fing es an: Worsley, Bridgewater-Kanal, Leigh-Zweig. Das Kanalnetz, so wie wir es heute kennen, hat hier seinen Ursprung, in einem ehemaligen Kohlebergwerk, hinter der Fußgängerbrücke unter den Bäumen. Der Herzog von Brigdewater ließ zum Abtransport der Kohle von diesem Ort aus einen Kanal nach Manchester bauen, 1765 war er fertig. Das schön restaurierte Gebäude war Verwaltungs- und Abfertigungsgebäude für den Stückgut- und Personenverkehr.





    Hafen


    Von Häfen spricht man eher nicht, die Begriffe „Boatyard“ oder „Wharf“ sind allerdings kaum zu übersetzen. Früher waren hier die Umschlagplätze und Lagerhäuser. Heute sind es Liegeplätze. Nur die Werften haben sich gehalten.


    Braunston am Grand Union Kanal ist einer der bekanntesten Kanalorte. Hier haben auch verschiedene historische Boote ihre Heimat. Fellows, Morton & Clayton war eine der großen Speditionen im Kanalnetz.




    Innerstädtische Basins waren lange Zeit vergessen und heruntergekommen. Dann wurden sie wiederentdeckt und bilden heute kleine Oasen im städtischen Gewühl, wie hier in Worcester. Das Becken hier ist gleichzeitig der Stützpunkt einer Charterflotte.




    Aber auch im ländlichen Raum bildeten sich Versorgungs- und Umschlagplätze, häufig an Schleusenanlagen. In Stretton am nördlichen Oxford-Kanal gibt es außer Kanalleben (und West Coast Main Line) nichts.






    Kabine


    An Bord ist es gemütlich. Die Boote sind wohnlich eingerichtet, mit Sitzecke, Schlafabteilen, Küche und Bad mit Dusche.


    Küchen sind voll ausgestattet mit Herd, Kühlschrank und Spüle mit fließend Warm- und Kaltwasser.




    Die Kojen sind vielleicht etwas schmal, aber das ganze Boot misst ja nur zwei Meter in der Breite.




    Die klassische Raumaufteilung hat Salon und Küche vorne, mit bester Aussicht.





    Rund ums Boot


    Die Boote heute fahren mit modernen Dieselmotoren, der Dieseltank ist reichlich bemessen und reicht für zwei Wochen. Wasser aber, zum Waschen/Duschen, Kochen/Spülen sollte täglich nachgefüllt werden. Dafür gibt es alle paar Kilometer passende Einrichtungen von British Waterways.




    Festgemacht wird an der Seite des Treidelpfades, an Ringen oder mit Patenthaken an der Uferbeplankung. Wenn aber am Ufer nicht vorbereitet ist, dann hämmert man dicke Stahlnägel in den Boden, ähnlich wie Heringe beim Zeltbau.




    Je nach Gegend schwimmt in den Kanälen auch mal Unrat – und im Hebst so einiges an Laub. Besonders Plastiktüten wickeln sich gerne um die Schraube. Die muss man entsprechend gelegentlich – manchmal auch sehr plötzlich – reinigen. Glücklicherweise muss man dazu nicht außenbords, sondern erreicht den Propeller durch eine verschließbare Luke von oben, das „Weedhatch“. Motor bitte vorher abstellen und Zündschlüssel abziehen.




    Selten läuft auch mal ein Abschnitt des Kanals leer, dann sitzt man auf dem Trocknen. Es war halb so wild, keine Bresche in der Uferböschung, nur eine etwas ungeübte Crew eines anderen Bootes, die nicht wusste, wie man Schleusen richtig schließt. Leider ließ sich die 800er Nummer von British Waterways nicht von einem deutschen Mobiltelefon aus anrufen. Zwei Stunden später waren wir aber wieder flott.






    (wird fortgesetzt)

  • Eine superinteressante Urlaubsstory mit Seltenheitswert in einer tollen Landschaft.
    Liest sich sehr spannend, sicherlich aber auch eine Wissensbereicherung.
    Und ich glaube nicht nur eine geruhsame Urlaubsreise, sondern man wird auch körperlich gefordert, ich glaube, wenn man eine Reihe Schleusen bedient hat, weiss man, was man gemacht hat:sinister:
    Gibt es vielleicht auch eine Internetseite zu diesen Urlaubsmöglichkeiten, da würde man sicherlich noch mehr erfahren.
    Warte gespannt auf die Fortsetzung lieber Herr Doktor oder vielleicht Herr Kapitän?:clap: :sinister:


    Eisen....


    Edit: hab selber mal ein bischen gegoogelt!


    http://www.britishwaterways.co.uk/home
    http://www.coobeastie.co.uk/gecm/the-map-so-far/


    Edit: Wenn ich auf den diesbezüglichen Seiten lese, dass das Netz 2200 Meilen groß ist und zum Besitz von " British Waterways 1.654 Schlösser, 54 Tunnels, 3.115 Brücken, 417 Aquädukte und 91 Reservoire gehören, denke ich mal, dass man jedes Jahr dort Urlaub machen kann, aber nie wirklich alles gesehen hat.


    http://www.scottishcanals.co.uk/


    Auf der obigen Seite gibt es ein Logo: Ein Kanal Urlaub ist ein Urlaub wie kein anderer! dem kann ich, nachdem was ich gelesen habe und noch lese, nur aus vollem Herzen zustimmen. Bin grade dabei, mir die Gasthäuser entlang der schottischen Kanäle anzuschaun.

    Einmal editiert, zuletzt von Eisenschwein ()

  • Beeindruckende Aufnamen, geophil und ein interessanter Aspekt für die näch-
    ste Urlaubsplanung, eine Bootsreise auf Kanälen durch England.


    Gruß joachim

    Einmal editiert, zuletzt von joachim ()

  • Zitat

    joachim schrieb:
    Wirklich beeindruckend geophil, vor allem der Tunnel und das Schiffshebewerk.
    Erinnert ein wenig an die älteste Kesselschleuse Europas in Lauenburg.


    Gruß joachim


    Eine weitere Kesselschleuse befindet sich soviel ich weiß in Emden.
    Undzwar am Ems-Jade-Kanal.


    Info dazu: http://de.wikipedia.org/wiki/Kesselschleuse_%28Emden%29


    Gruß


    Lothar

    Einmal editiert, zuletzt von lthennig ()

  • Ja Ithenning, ein interessantes Thema diese alte Schleusentechnik zumal die
    Emder Schleuse noch im Betrieb ist und vier Kanäle verbindet. Die Lauenbur-
    ger hingegen, verband den Stecknitzkanal mit der Elbe. Sie wurde Ende des
    vierzehnten Jahrhunderts komplett aus Holz gebaut und war erforderlich um
    das Lüneburger Salz nach Lübeck zu transportieren.


    Gruß joachim

    Einmal editiert, zuletzt von joachim ()

  • Erst einmal vielen Dank für die netten Rückmeldungen.


    Einige interessante Links wurden ja schon genannt. Ich werde nach dem letzten Teil meines Berichtes noch ein paar weitere heraussuchen.


    Was kostet der Spaß? Unsere Boote bewegten sich in der 55 bis 60 Fuß-Klasse (16 – 18m) und bieten zwischen vier und 6 Kojen. Dafür zahlt man in der Nebensaison etwa 800 bis 1200 £, abhängig vom genauen Termin und auch der Ausstattung der Boote. Je nach Vercharterer ist Diesel inklusiv. Dazu kommt natürlich die An- und Abreise und die Verpflegung unterwegs, ggf, je nach Starttag und Flugverbindungen noch eine Übernachtung an Land.


    Bei den Kosten für den einzelnen kommt es darauf an, mit wie vielen Leuten man sich ein Schiff teilt. Zu zweit sollte man mindestens sein, nur absolute Profis fahren alleine. Arbeitsteilung ist empfehlenswert, es gibt keine geschlechterspezifische Rolle. Leichter und effektiver wird es zu dritt. Und ab vier Leuten sind die theoretischen Schleusenmindestzeiten auch auf Dauer zu halten.



    Und weil wir gerade wieder bei Schleusen sind, damit gleich weiter:


    Schleuse


    Hier gibt es zwei Jobs, den an Land und den an Bord. An Bord hat der Steuermann die Aufgabe, möglichst ohne Anzuecken in die Schleusenkammer einzufahren und dort sanft zum Stehen zu kommen. Während des Schleusens muss er das Boot unter Kontrolle halten. Das saubere Fahren lernt man schnell. Der junge Steuermann hier ist gerade zwei Tage dabei.




    An Land bewegt man Tore und Schieber. Zuerst muss man dafür sorgen, dass der Wasserstand für die Einfahrt stimmt. Wenn nicht – und kein anderes Boot aus der Gegenrichtung kommt – muss man Wasser ein- oder ablassen. Dazu dienen die Schieber. Am oberen Ende der Schleuse meist unterirdisch, am unteren Ende normalerweise im Tor.


    Zahnstangenantriebe sind der Normalfall. Am Getriebe befindet sich ein Zapfen mit Vierkant, zu dem man an Bord die passende Kurbel mitführt, die „Windlass“. Eine Sperrklinke verhindert, dass der Schieber in geöffnetem Zustand wieder runterrasselt. Aber aufgepasst, auf jeden Fall Kurbel abziehen. Die wird sonst im Falle eines Falles zum gefährlichen Flugobjekt.




    Sowohl das Füllen als auch das Leeren der Schleuse haben so ihre Risiken. Beim Füllen entsteht eine gewaltige Strömung in der Kammer, die auch ein 20 Tonnen-Boot in Bewegung setzt. Zudem muss man aufpassen, wenn beim oberen Tor Schieber im Tor selbst sitzen. Die werden eigentlich erst geöffnet, wenn der Wasserstand deren Unterkante erreicht hat, es sei denn der unterirdische Schieber ist defekt, wie hier. Große Vorsicht ist geboten. Würden diese Wassermassen das Vorschiff treffen, dann würde man Schiffe versenken spielen.




    Auch beim Runterschleusen ist Vorsicht geboten. Hier muss man in jedem Fall Abstand zum oberen Tor halten. Denn die Schleusenkammer wird nach unten zu kürzer, Grund ist das Fundament für das obere Tor. Diesen Vorsprung nennt man Sill (engl. „Cill“), Ruderblatt und Schraube sind schnell gefährdet und sitzt das Boot erst richtig auf, kentert es über den Bug. Passiert leider häufiger. Deswegen ist an jeder Schleuse das Sill obern an der Kammermauer mit weißen Strichen markiert und der Warnhinweis: „Vom Sill freihalten“ („Keep forward of Cill“) oder ein Warnsymbol sind an jeder Schleuse zu finden.




    Wenn man mit mehr als zwei Leuten unterwegs ist, und eine Schleusenreihe passiert (einen „Flight“), dann arbeite man effizienter, wenn man einen Teil der Crew vorausschickt, um schon die nächste Schleuse vorzubereiten. So erkennt man auch früher, ob mit Gegenverkehr zu rechnen ist. Im Vordergrund die Bedienung eines unterirdischen Schiebers. Unvorsichtigerweise liegt die Sperrklinke nicht auf – riskant wenn man abrutscht. An der nächsten Schleuse sind beide Torschieber bereits geöffnet, es strömt in den kurzen Abschnitt zwischen den Schleusen, der im Moment wohl gut 30 cm unter normal ist. Je nach Kanal wird es dann schon eng unterm Kiel (glücklicherweise ist der Unterboden brettflach).



    Die langen Torbalekn mit dem weißen Kopf dienen als Hebelarm zum Öffnen und Schließen der Tore. So ein Tor wiegt schon mal eine Tonne. Nicht rohe Kraft ist erforderlich, sondern nur ein Anschubmoment. Allerdings muss der Wasserspiegel ausgeglichen sein, sonst bewegt sich nichts.


    Breite Schleusen fährt man, wenn man die Gelegenheit dazu hat, am besten mit mit einem zweiten Boot zusammen. Damit verteilt man nicht nur die Arbeit auf mehr Leute sondern verhindert auch zuverlässig das seitliche Ausbrechen des Bootes unter Strömung. Allerdings kommt es dann häufiger zum Schwätzchen, britische Bootsfahrer sind kommunikativ.




    Ob man bei bei zwei Booten in der Kammer wirklich Leinen an Land bringen soll, darüber gibt es geteilte Ansicht. Mit genügend Sorgfalt geht es auch ohne, selbst bei Wind.




    Hat man alles im Griff, sind Schleusen ein ganz entspanntes Vergnügen. Man genießt mit Muße die Umgebung, wie hier die Abzweigung in Kingswood Junction zum Verbindungsstück zwischen Stratford- und Grand Union-Kanal.




    Brücke


    Die gemauerten Überführungen sind der häufigste Vertreter der Bauwerke aus der Ursprungszeit. Die Durchfahrten sind selten breit, manchmal sogar sehr eng, besonders wenn der Treidelpfad eingezogen ist. Nicht alle Bootsfahrer haben Respekt vor dem ehrwürdigen Alter, oder anders ausgedrückt: das Abschätzen der eigenen Bootslänge benötigt ein wenig Erfahrung.




    Etwas exotisch mutet diese Kombination an. Eine Drehbrücke und daneben eine Fußgängerbrücke mit Treppentürmen in neugotischem Kastell-Stil, zu finden auf dem Birmingham & Fazeley-Kanal.




    Nicht schön, aber spannend: Salford Junction in einem Vorort von Birmingham. Hier kreuzen sich nicht nur Kanäle. Vorne links, schon aus dem Bild, der Grand Union, zweite links die Fortsetzung des Birmingham & Fazeley und halbrechts weiter in den Tame Valley-Kanal. Eine Ebene tiefer weiter links (nicht sichtbar) der Fluss Tame. Eine Ebene höher die Überführung der Treidelpfade, eine weitere Ebene höher Lichfield Road und ganz oben die Autobahn 6, die gleich im Anschluss auf die „Spaghetti Junction“ treffen wird




    Einmalig ist auch die Überführung des Bridgewater-Kanal über den Manchester-Schiffskanal, eine Drehbrücke als Aquädukt: „Barton Swing Aqueduct“. Auch der Schiffskanal hat heute keine kommerzielle Bedeutung mehr, der Binnenhafen in Manchester wurde zu einem Nobelviertel umgestaltet.




    Birmingham habe mehr Kanäle als Venedig, behaupten die Einheimischen. Ein BBC-Moderator wandelte den Spruch gestern ab: In Birmingham lägen mehr Einkaufswagen in den Kanälen als in Venedig. Er spielte auf den leider verbreiteten Vandalismus bestimmter Jugendlicher an.


    Thomas Telford baute diesen Aquädukt um1820. Unten die „Neue Birmingham Hauptstrecke“ (New Main Line), links, außerhalb des Bildes oberhalb der Böschung die alte Hauptstrecke und querend der „Engine Arm“, der zu einem Pumpwerk führte. Wasserhaltung war und ist ein durchaus schwieriges Unterfangen.



    Die selbe Stelle: Blick von der alten Hauptstrecke über den Aquädukt in den Engine Arm. Auch wenn es nicht so aussieht: der Trog ist schiffbar.





    Schluss folgt

  • geophil
    vielen Dank für diese tolle Präsentation gespickt mit interessanten Informationen über Bauwerke und Umgebung.
    Was das Umsehen im Internet betrifft:
    Also, man springt von Link zu Link und wird nicht fertig, hunderte Bilder, Videos, Beschreibungen und interessante Informationen über " Land und Leute " können einen so den ganzen Tag beschäftigen und man findet kein Ende.:sinister:


    Hier mal noch ein Link:
    http://www.google.de/images?q=…&resnum=4&ved=0CEEQsAQwAw


    Eisen...

    Einmal editiert, zuletzt von Eisenschwein ()

  • Hallo geophil


    Auch ich möchte mich bedanken für den tollen Bericht.


    Bei T-online auf der Startseite war vor einer Woche dein Avartar-Bild mit einem Bericht zu sehen.


    vielen Dank.


    mfg.aus Berlin


    ecki

  • Nun der letzte Teil meines kleinen Fotoberichtes. Die Kanäle führen durch Land und Stadt. Obwohl mehr als das halbe Netz in klassischer Industrielandschaft liegt, hat sich durch den strukturellen Wandel so viel verändert, dass die reizvollen Abschnitte die noch vorhandenen weniger einladenden Ecken in den Hintergrund drücken.


    Stadt


    Die Großstädte haben ihre Kanäle erst vor gut 20 Jahren wiederentdeckt. Seitdem werden sie zu attraktiven Oasen der Stadtsanierung umgestaltet.


    Manchester Castle Field Basin, ehemaliger Kohlehafen und Endpunkt des Bridgewater-Kanals, später wurde die Fortsetzung quer durch die Innenstadt mit dem Rochdale-Kanal gebaut. Heute ein ruhiger Liegeplatz abseits des Gewimmels. Im Hintergrund Beetham Tower, unübersehbares neues Wahrzeichen der Stadt.




    Die gleiche Ecke bei Dunkelheit, mit Blick auf die Eisenbahnbrücken von Deansgate, dahinter das Museum für Wissenschaft und Industrie, das u.a. den Endbahnhof der Liverpool & Manchester-Eisenbahn eingebunden hat.




    Die Kleinstadt Skipton in Yorkshire. Hier lebt man während der Saison von Kanal. Dazu gehört auch das jährliche Bootsfestival, das am Tag vorher zu Ende ging. Auf dem Wasser wird es dann so eng wie sonst nur auf der Straße.





    Land


    Bei den späteren Kanälen beherrschte man den Tiefbau schon ganz gut, entsprechend baute man geradlinig. Ältere Kanäle hingegen versuchten, ohne viel Erdbewegungen auszukommen, und schmiegten sich an die vorhandene Lanschaftsform, mit entsprechend vielen Kurven. Hier die moderne Technik, als Main Line zwischen Birmingham und Wolverhampton, aus dem zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts.




    Auch der Leeds & Liverpool-Kanal ist abschnittsweise großzügig trassiert. Und mehrfach hat man den weiten Blick auf die – für deutsche Mittelgebirgsverhältnisse eher harmlosen – nördlichen Pennines.




    Teils auch breit, aber Wasserstraßen ganz anderen Ursprungs sind die kanalisierten Flüsse, die ebenfalls zum Netz gehören. Hier der Fluss Severn, unterhalb von Stourport, und ganz in der Nähe der Severn Valley Railway, einer der wohl bekanntesten englischen Museumsbahnen.




    Deutlich enger geht es auf dem Rochdale-Kanal zu, hier kurz vor dem Scheitelpunkt bei etwa 600 Fuß, ca 180 m. Das scheint keine abenteuerlich Höhe zu sein, überlegt man aber, dass man vom Meeresspiegel aus losfahren kann, dann bedeutet das über 60 Schleusen bis hierher, bei einem durchschnittlichen Hub von knapp 10 Fuß (3 m). Das Klima wird hier schon etwas rau, die Landschaft zeigt schon mehr als nur einen Hauch von Tundra.




    Oft genug liegen Kanal und Bahnstrecke nicht weit voneinander. Und Eisenbahnfreunde suchen Liegeplätze für die Nacht durchaus mit Bahnblick. Worcester & Birminham-Kanal.




    In England heimisch, hierzulande extrem selten: die Blue Bells. Im Frühjahr bedecken ihre Blüten ganze Waldböden.




    Neben blau auch gelb. Der Raps ist im Farbton sehr dominierend, aber immer ein ansprechender Kontrast zum Grün. Trent & Mersey-Kanal mit dem Fluss Weaver im Hintergrund.




    Statt Frühjahr nun Herbst. Und nach einer der ersten Nächste mit Bodenfrost. Das Wasser ist wärmer als die Luft, es bildet sich feiner Nebel. Birmingham & Fazeley-Kanal




    Und zum Abschluss noch ein Abendbild. Ein weiterer Liegeplatz am Worcester & Birmingham-Kanal.




    Das war's dann von meiner Seite an Bildern. Es freut mich, dass ich Euer Interesse wecken konnte. Links suche ich noch heraus, für diejenigen, die so eine Tour auch mal selbst wagen wollen.